Gedenken an Euthanasie Opfer
Eine Stele gegen das Vergessen
Jahrzehntelang gerieten sie in Vergessenheit, öffentlich wurde ihnen kaum gedacht. Seit Juni 2015 erinnert nun im Hinsbecker Friedenspark eine Stele an die Hundertausenden Insassen von Heilanstalten, die im Dritten Reich drangsaliert wurden und im Euthanasie-Programm den Tod fanden. Es ist das erste Denkmal dieser Art im Kreis Viersen.
Zwischen 1936 und 1944 wurden geistig behinderte Menschen aus der „Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Johannistal (Süchteln)“ in das damalige Hinsbecker Krankenhaus, dem heutigen Marienheim verlegt. Etwa 250 Personen waren hier zeitweise untergebracht. Einerseits nahm die Pfarre die Menschen sicherlich aus karitativen Gründen auf, andererseits profitierte sie auch von der wirtschaftlichen Auslastung des Hauses. Ende 1944 kehrten die Kranken wieder nach Süchteln zurück. Bisher verliert sich hier ihre Spur, wahrscheinlich teilen sie das Schicksal zigtausender und wurden Opfer der Euthanasie. Eine genauere Aufarbeitung ist von Nöten.
Der Hinsbecker Künstler Manfred Mangold erschuf eine freistehende, scheinbar aus dem Boden herauswachsende Stele aus Eifeler Basalt-Lava, in der er die von Gabriele Beeck gestiftete Plastik der Heiligen Ursula – ein Werk von Erika Vonhoff – einarbeitete. Ursula wird als Helferin in der Todesstunde angerufen. Die Stele fügt sich harmonisch in das Ensemble von Kanzlerbüsten und Ehrenmal im Friedenspark ein.
„Niemand hat das Recht über das Leben eines Menschen zu urteilen“, so Bürgermeister Christian Wagner in seiner Rede. Er hege die Hoffnung, „dass die Stele daran erinnern wird, was die Nationalsozialisten mit denen machten, die nicht in das arische Rassenkonzept passten“. Auf die Gegenwart bezogen machte er deutlich, dass in Deutschland rund 10 Prozent Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung leben und „auf unsere Solidarität, unseren Zuspruch und unsere Empathie angewiesen sind“. Wagner dankte den Initiatoren Hans und Ursula Kohnen für die Idee, ein Mahnmal gegen das Vergessen zu errichten. Sein besonderer Dank galt der St. Johannes-Bruderschaft Hinsbeck-Schlöp, die diese würdige Feier im Rahmen ihrer Totenehrung erst ermöglichte. Bundesspielmannszug und Musikverein sorgten für den passenden musikalischen Rahmen. Die Einweihung der Stele nahmen Pfarrer Ansgar Falk und Oberstudienrat Klaus Hubatsch vor.
Nachhaltigen Eindruck hinterließen die Schülerinnen der 12. Klasse der Gesamtschule Nettetal. Unterstützt von ihrer Lehrerin Julietta Breuers hielten Lilja Schmitz, Oriane Gommans und Andrea Klaas einen bebilderten Vortrag über Euthanasie und ihre Opfer. Sie erläuterten, dass während der NS-Zeit die Massenermordungen unter der Bezeichnung „Euthanasie“ oder „Aktion Gnadentod“ vollzogen wurden. Das griechische Wort Euthanasie steht für „guter Tod“ oder auch „schmerzloser Tod“. Sie berichteten weiter über den Abtransport von 86 Patienten der Süchtelner Klinik in die „Zwischenanstalt“ Galkhausen bei Langenfeld. Von hier aus ging es weiter in die Tötungsanstalt Hadamar in Hessen. Ein Foto belegte den Transport mit Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“.
Weiter berichteten die Schülerinnen, dass die Pflegeanstalt Süchteln seit 1937 in Waldniel-Hostert eine Kinderfachabteilung unterhielt, in der seit 1942 Tötungsaktionen stattfanden. Alle behinderten Kinder wurden von Süchteln dorthin verlegt. Nachweislich starben in Waldniel 99 Kinder. Es folgte ein emotionaler Vortrag über das Schicksal der 10jährigen Else H. aus Oberhausen, die in Waldniel getötet wurde. In Folge einer Diphterie-Impfung geistig behindert, kam sie in die Kinderfachabteilung Waldniel. Diagnose: „Idiotie“! Sie gehörte zur Erstbelegung der neuen Abteilung, im ersten Monat ihres Bestehens wurden dort schon die ersten beiden Kinder eingeschläfert. Else und viele andere Kinder ließ man hingegen bewusst hungern, was ihr Vater in Briefen heftig kritisierte. Daraufhin wurde im von der Anstaltsleitung mit juristischen Schritten gedroht, hielte er die Vorwürfe aufrecht. Nach einem qualvollen Jahr ist „das von eiternden Geschwüren geplagte und durch Mangelernährung bis auf die Knochen abgemagerte Kind“ im Januar 1943 verstorben. Als Todesursache wurde „doppelseitige Lungenentzündung“ angegeben. Den Gesichtern der Zuschauer konnte man ansehen, welche Wirkung der Vortrag hinterließ. Weitere ergreifende Momente waren der große Zapfenstreich und das gemeinsame Singen der Nationalhymne.
Hier Berichte aus der Rheinischen Post und den Grenzland-Nachrichten. Auch eine Gedenktafel am Marienheim erinnert an die Opfer.